R. erinnert mich daran, daß ich gestern bei der Lektüre der »Pandora« (Epimetheus‘ Erzählung ihres Verschwindens) weinen mußte; er findet Schönes in dem Gedicht, erkennt aber das Suchen nach Formen darin.
Nach Tisch spricht R. über das Wort Lessing’s, lieber das Streben danach, als die Wahrheit selbst, »ja wenn es nicht etwas anderes gäbe, als was wir jetzt unter Wahrheit verstehen!« – Abends Beethoven’s A dur Quartett [1] ohne übermäßige Freude daran, beim Scherzo, welches R. immer als niederländischen Bauerntanz hervorgehoben, ergibt es sich, daß R. ihn in der Erinnerung gänzlich umkomponiert hat und er in Wahrheit viel weniger derb, viel sentimentaler, als er dachte. Das E moll [2] beglückt uns, namentlich das Menuett erklärt R. für eines der schönsten, was je geschrieben wurde! Mir ist der erste Teil dieses Menuettes wie das Flattern zweier Schmetterlinge und ihre Sehnsucht zum Licht, schmerzlich heiter aufgeregtes Spiel – was kann man aber über Musik sagen? …
R. empfiehlt den jungen Musikern den Unterschied: »Tempo di Minuetto«, und »Minuetto« zu beachten; ersteres langsamer, zweites durch Haydn Ländler geworden. R. nimmt Quartette von Haydn vor, findet sie herrlich.
[1] Opus 18, No. 5.
[2] Opus 59, No. 2.
Fußnoten
1 Dem Tagebuch beigelegt ein Ausschnitt aus der Fränkischen Zeitung vom gleichen Tage (Titelseite) mit einem ungezeichneten Kommentar zur Abweisung der von Dr. Jörg eingebrachten ultramontanen Adresse durch den König von Bayern.
2 Dem Tagebuch beigelegt ein herausgerissener Zeitungsausschnitt der Fränkischen Zeitung vom 27. 10. 1875 mit einem »Aufruf an die Handwerker u. Kleingewerbetreibenden Bayreuths«, sich in Teilnehmerlisten für eine Ausstellung im Festspieljahr einzuzeichnen. In einer Versammlung am Abend zuvor sei versucht worden, die Ausstellung zu verhindern, angeblich, »weil Herr Richard Wagner es nicht wünscht, daß neben dem Bühnenfestspiele eine Ausstellung stattfindet«; man lasse sich aber nicht abhalten, »wenigstens in etwas den hiedurch herbeigeführten Zufluß von Fremden, in der ohnehin schlechten Zeit zu benützen, hat man uns doch so oft auf diesen Zeitpunkt hingewiesen, als eine bedeutende Ehre und Einnahme für die Einwohner« (gez. C. Wendel).
