Freitag 8ten (8. Mai 1874)

Cosima Wagner Tagebücher

„Ich halte als Künstler nicht viel von der Pickelhaube“, sagte R. gestern zu den Damen, „und doch erkenne ich sie als die einzige Rettung.“ Er rühmt die Damen heute sehr und sagt, es habe ihm gefallen, daß sie mir die Hand geküßt; wie ich das durchaus nicht zugebe, sagt er: „Wer dich erkennt, muß vor dir auf die Knie fallen.“

Gestern schrieb ein Herr v. Gerstenberg, Redakteur der A.A.Z., an R. und bat um ein Autograph, R. hatte Lust, ihm seine Meinung über die Zeitung, welche der Abtreter für allen Schmutz, der seit Jahren gegen ihn von jedem ersten besten abgelagert würde, gewesen sei, zu sagen. – 

Bei Tisch bemerkte R. den alten Mann, welchen wir angestellt haben, um das noch mit Eisen behaftete Wasser auszupumpen, es gemahnt ihn an die Magd in der Odyssee, welche nachts mahlt. Er ist mit Mitleiden überfüllt, „das Geräusch ist für mich urelementarisch, es ist wie Sphärenquietschen“.

Er hat am Vormittag Vorstel’s und Will’s Reiseabenteuer[1] gelesen, und ich fand ihn mit Tränen in den Augen. „Ach war das eine merkwürdige Zeit“, ruft er aus, „diese, in welcher wir Tribschen wählten – alles ein Auf und Niederwallen, ein Krampf““ – 

Wie wir nach Tisch den Kaffee in der Halle nehmen und er die Bilder betrachtet, sagt er: „Welche merkwürdige Nacht muß das gewesen sein, wo Wotan die Erda bezwang; das ist ganz meine Erfindung – ich weiß nichts von Zeus und Gäa etwa, oder in einem Dichter ist mir nichts aufgefallen, wie zuweilen ein Zug, welcher den meisten entgeht, unsereinem sehr auffällt. 

Diese Nacht, wo Brünhild gezeugt wurde – es ist nur unter dem Begriff des Göttlichen sich vorzustellen; der Reiz, dieses warnende Weib zu bezwingen, um von ihr alles zu erfahren – in der Tierwelt habe ich solches Ausbrechen von Naturgewalt belauscht, wie wir für das Göttliche einzig ein Analogon in der Tierwelt haben.“ – 

„Nein“, rief er bald darauf aus, „wer hätte das geahnt, daß ich mit dir in solcher Traulichkeit einmal sitzen würde! So war alles gut, was unser Trachten in München scheitern ließ, und hier hat ein fruchtbarer Wille gewaltet, der unsere Liebe nicht zergrämelt und zermemelt sehen wollte, wie es unter günstigen Umständen geschehen wäre, weil er wußte, daß eine solche nicht wiederkommt und daß sie ausgenutzt werden muß. Er führte durch grauenhafte Wege uns zur Vereinigung, gleichviel, sie werden es ertragen, darum glaube ich, daß ich noch lange lange Jahre mit dir leben werden.“ „Ach! wie ich dich liebe, weiß niemand, weißt du selbst nicht“, ruft er mir zu, wie wir uns trennen. –

Der Vater telegraphiert mir, erfreut über meinen Entschluß, nach Warschau zu reisen. –

Sturmwind; abends Beendigung der „Beiden Veroneser“. – wie ich zum Garten ging und meinen Hut aufsetzte, gedachte R. der Tochter seiner Patin Anna Träger, welche ihn bat, wie er ein 8jähriger Knabe war, ihre Hut-Bänder von strohgelben Atlas ihr zu binden, das habe sich ihm tief eingeprägt.[2]

Von den „Veronesern“ sagt R.: „Das waren die Spiele, welche die Oper vorbereiteten, die höchste Tragik wird berührt, und dann endigt alles gut.“ –

Wie er sich auskleidete, hörte ich ihn laut reden und frug ihn, was er gesagt hätte, er meinte, ich würde darüber sehr lachen, er habe gesagt: „Fünfzehn Jahre jünger müsste ich sein, oder besser, wie ich damals die Kapellmeisterstelle in Dresden aufgab, hätte ich Cosima als junges Mädchen von 20 Jahren finden sollen.“


[1] R.s Spitznamen für sich selbst (Will) und Cosima (Vorstel) nach Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“; mit Reiseabenteuer sind die Wochen des Jahres 1866 in der Schweiz gemeint.

[2] Eine Zeile darüber findet sich bei Seitenbeginn erstmals der Eintrag: „Wahnfried“.

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