Mein hochgeliebter König und gnadenreichster Freund!

Richard Wagner, Bayreuth an Ludwig II. von Bayern, Sonntag, 30. Mai 1875

Für so viele Hulden habe ich Ihnen wieder zu danken! Wie Sie die Krone meines Lebens sind, so krönen Sie auch jedes meiner Feste! Der Telegraph, welcher mir Ihren hochbeseligenden Glückwunsch zu meinem 62gen Geburtstage brachte, leitete mit dieser ersten frohen Botschaft eine ganze Fluth von nachfolgenden Begrüssungen ein, davon die Ihrige der Heerführer war. Es scheint für meine Freunde etwas Ergreifendes zu haben, mich in einem Lebensalter, wo jeder nur an den Genuss des Erworbenen, oder an gänzliche Entsagung denkt, noch mitten in der Ausführung von Unternehmungen begriffen zu sehen, denen sich die jugendlichste Manneskraft kaum gewachsen fühlt. Ein sehr tiefes Gefühl hiervon drückte mir mein jüngerer Freund, Friedrich Nietzsche in Basel, durch einen Brief und ein darin enthaltenes Citat aus, welche ich Ihnen abschriftlich (da das Original sehr unleserlich ist!) mitzutheilen mir erlaube, weil der Ausdruck jenes Gefühles zugleich soviel Ermuthigendes für mich kundgiebt. Das Fest selbst, welches mir mein theures Weib in ihrer eben so sinnigen als grandiosen Weise bereitete, soll sie Ihnen, mein hochgeliebter Freund, selbst berichten; sie glaubt sich diese Gunst zuwenden zu dürten, nachdem sie durch die neuesten Versicherungen unseres erhabenen Wohlthäters sich hierzu ermuthigt fühlt. Im Gedenken an dieses abendliche Gartenfest frugen unter einer Mahlzeit die Kinder, ob bei meinem nächsten Geburtstage der Garten wieder so erleuchtet sein würde:

die Mutter sagte Ihnen „Nein! Nur wenn der König uns einmal besucht“,worauf Siegfried ausrief: „Dann aber noch viel schöner!“ –

Da haben Sie, gnädigster der Freunde, ein kleines Bild aus meinem Hause! – Hier ist meine Zuflucht, und oft, wenn ich Haus und Familie geniesse, fühle ich mich von dem Gedanken überrascht, warum ich mich mit dem Erworbenen nicht begnüge, sondern immer von Neuem Alles, was mir zu Theil ward, wie etwas Nichtiges in Frage stellen muss, um all mein Trachten an Etwas zu hängen, wonach die Mitwelt gar kein Verlangen trägt. Aber, so ist es! Schopenhauer unterscheidet zwischen „Talent“ und „Genie“ einmal sehr schön dadurch, dass er dem „Talent“ die Fähigkeit zuspricht, in ein Ziel zu treffen, welches alle zwar vor sich sehen, welches sie aber nicht zu erreichen vermögen, wogegen das „Genie“ in ein Ziel treffe, welches die Anderen gar nicht einmal zu ersehen vermöchten.

Ach! So geht es mir nun auch mit meinem grossen Werke! Im besten Falle, in welchem sich die Allermeisten meiner Freunde befinden, substituirt man dem nur von mir erkannten Ziele, ein Ziel welches sie Alle zu erkennen glauben, während das Meinige weit über das ihrige hinausliegt! So eigentlich alle Diejenigen, welche mir bei der Ausführung helfen, wie z. B. meine Sänger; diese glauben in der von mir beabsichtigten Aufführung eigentlich doch nur die Vorproben für die eigentlichen Aufführungen zu ersehen, welche sie dann im Repertoirgange ihrer abonnirten Theater (natürlich: mit gehöriger Verstümmelung!) jahraus-jahrein zum Besten geben werden. Und Diese muss ich gern in dieser Täuschung lassen: mein ihnen wahrhaft aufgedecktes Ziel würde sie alle kopfscheu machen! Und nun aber gar erst die „Förderer“ meiner Unternehmung! Wie wenige von ihnen fühlen sich in Wahrheit als Patrone einer die National-Cultur fördernden Unternehmung! Die allermeisten betrachten sich nur als Abonnenten auf eine, unter ganz ausserordentlichen Umständen vor sich gehenden Aufführung, bei welcher sie nothwendig zugegen sein müssten, etwa wie bei der Eröffnung einer „Weltausstellung“ u. dgl.

In Wahrheit, mein erhabener Freund, bin ich jetzt so weit, nur noch durch die Unterstützung, welche mir das ungemeine Aufsehen der wirklichen Aufführungen zuführen wird, die Kosten der Unternehmung selbst gedeckt zu sehen. Diess wird erst im nächsten Jahre geschehen, und bis dahin habe ich mich wie ein Konzertgeber zu verhalten, welcher die Kosten seines Konzerts vom erwarteten Ertrage der Einnahme bezahlt: glücklicher Weise habe ich, in dieser – im Ganzen höchst unwürdigen – Situation, bisher nur ermuthi-gende Erfahrungen gemacht, wofür wiederum Wien und Berlin zeugen.

Nur ist diessmal die Unternehmung mit soviel Zeit raubender Vorbereitung verknüpft, dass ich nothwendig des Credites bedarf:

Oh! wer mir diesen im Ganzen, für die volle Unternehmung bis zur Aufführung gewährt hätte, der hätte wohl manches Haar auf meinem alternden Haupte noch frisch erhalten können! So muss ich mich denn mit jeder neuen Woche des Monates auf die Bestehung einer neuen Schwierigkeit rüsten, von welcher die Sorge für das anständige Unterkommen der zu erwartenden Festbesucher nicht den geringsten Theil ausmacht. Aber –

Diess Eine habe ich durchgesetzt und halte es unweigerlich fest: die Vorproben finden von Juli bis Mitte August, ganz wie ich diess Eurer Majestät meldete, in diesem Jahre statt, um im nächsten Jahre, in der ebenfalls angegebenen Weise, die Aufführungen vor sich gehen zu lassen. Die Kosten dieser Vorproben habe ich jetzt mit letzter Anstrengung zusammengebracht; andere Posten müssen jetzt zurückgestellt werden. Dank Ihrer einzigen, grossmüthigen Hilfe, sind die Ausarbeitungen der Bühne jetzt, unter Meister Brandt’s persönlicher Leitung, im vollen Gange: Mitte August gedenke ich bereits die Rheintöchter schwimmen zu lassen.

Somit, mein huldreichster Herr und Freund, vertrauen Sie dem Eifer meiner letzten Lebenskraft, welche ich an dieses Werk setze, das zum Ruhme des Einzigen errichtet werden soll, der mich verstand und mächtig emporhielt!

In Demuth küsse ich Ihre gnadenreiche Hand und ersterbe als des edelsten Königs und Freundes

Bayreuth
30 Mai 1875.

getreuestes Eigen
Richard Wagner.

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