Sonntag 11ten (11. Januar 1874)

Nach der Lektüre gestern fiel unser Gespräch auf die Mission, die dem Könige von Bayern hätte zugewiesen sein können; da der deutsche Kaiser die ganze politische Last auf sich habe, so hätte er ganz unbehindert als eigentlicher Gründer des Reiches der Kunst ihre Stätte bilden [können].

R. sagte, daß man nur von den Fürsten, welche nicht eigentlich als Kronerben und für den Thron erzogen würden, etwas erwarten [dürfte]; so der jetzige Kaiser Wilhelm, der Gr. von Baden(1), der erste König von Bayern – Friedrich der Große und die früheren freilich eine Ausnahme. Er liest mir im Freytag die seltsame bezeichnende Geschichte von Helmbrecht: und verwünscht die Renaissance, die das Deutsche untergraben habe. – Fidi(2) überrascht uns nach Tisch, ich weiß nicht bei welcher Gelegenheit ich R. vom kälteren Deutschland sprach, worauf Fidi einfiel: “Aber in Spanien ist es schön” – entschieden eine Erinnerung an das öfters vorkommende Zitat aus “Don Juan” – wir mußten sehr lachen. 

R. liniert die Partitur zum zweiten Akt(3). Depesche von Minna Standhartner(4), der Vater habe soeben in Wien gespielt (für die Franz Joseph Stiftung), „stürmischer Beifall“, was uns seltsam dünkt!

Abends Luther, unseren Freund begraben, durch ihn die Erkenntnis gewonnen, wie das deutsche Volk das Christentum erfaßte.“

Ich schrieb an Richter(5) wegen Wien und eines möglichen Konzertes dort, o des Elendes! Gott sei Dank ist R. nun gesund. Unsere bunten Haushaltsnöte bringen ihn zu dem Ausruf: „Hol der Teufel, du bist die einzige, die, wie die Eitelkeit gekränkt war, nicht alles über den Haufen warf und unsägliche Unruhe und Not stiftete.“ –

Im Laufe des Gespräches entsinnt er sich Paganini’s und seines Dämoniums, da können die Herrn Joachim(6) und Konsorten sich verstecken. – 


(1) Wilhelm I. (Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen)
(2) Siegfried Wagner, geboren 06. Juni 1869
(3) Götterdämmerung
(4) Frau von Dr. Joseph Standhartner, Leibarzt von Kaiserin Elisabeth, Mitinitiator des Wiener Wagner-Vereins
(5) Hans Richter, Dirigent
(6) Joseph Joachim, Violinvirtuose

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