Dienstag, 29. März

Singapore

Gegen ¾7 Uhr aufgestanden und in den Strassen gebummelt: der Morgen ist vielleicht noch lustiger wie der Abend: vom Lande kommen die frischen Gemüse, die Bananen, Ananas, Mangostins, Limonen herein in Bündeln u. vertheilen sich in die Läden. Vom Meere her laufen u. schreien die Fischer u. bringen die Waare den Händlern, die sie gleich zerteilen u. in ihre dampfenden Töpfe werfen. Die Strassen sind wirklich ziemlich sauber, und nur dazwischen, – wenn etwas widerliche Läden kommen, muss man seine Nase fest zustopfen. Wir kamen in den Süd-Westen der Stadt zu dem Hindutempel, den wir gestern gesehen u. diesmal glückte es uns, hineinzukommen. An und für sich ist es ein schlechtes Exemplar, doch ist die Anlage dieselbe, wie bei den grossen alten in Indien: Als Eingang eine Pagode [in 3 Etagen], dann eine offene, dem Schiff des Tempels entsprechende Vorhalle, offen, die rechts u. links in den Hof führt, der den eigentlichen Tempel umgiebt. Das Innere ist dreischiffig, mit dem spitzen indischen Klostergewölbe; im Hofe, rechts hinten steht eine kleine Capelle mit reizender bunter Kuppel, deren 4 auch auf dem Ende d. Tempels aufgesetzt sind; in der Capelle ein unglaubliches Götzenbild Buddhas, ebenso auf der linken Seite, in den Wohnungen der Preister; in das Innere des Tempels darf man nur barfuss, so dass wir also den eigentlichen Altar nicht sahen. – – 
Wir frühstückten dann im Hôtel, sehr viel, himmlischen Thee von einem Dufte, wie ich ihn nie getrunken. Die Chinesen servieren so nett, so ruhig u. beflügelt. Die Deutschen, d.h. grossentheils Juden im Hôtel sind greulich, lärmig u. affenartig! Und da wollte einer noch Darwin widerstreiten, wenn man diese Gesellschaft sieht, die gleich auf den Bäumen herumklettern könnte. – 
Es wurde tüchtig heiss u. wir blieben den Tag über im Hôtel, schreiben u. malten u. schnazten Obst: die berühmten Mangostin haben mich sehr enttäuscht, dagegen sind die grossen süssen Lemonen himmlisch, wild, ungern sich öffnend, mit fleischigen Fasern und buckligen Kernen. Unsere Wonne sind immer die Bananen in ihrer weichen Fülle und Ananas. – Andere kleine Cochonerien probiertn wir auch oft, u. ein freunlich mahnendes Magengezerr fordert uns auf, es nicht zu wiederholen.
In den Racen kennen wir uns so ziemlich aus. Wunderschön sind die Hindus, obwohl schon etwas vermischt mit den Malayen; weisse Streifen auf der Stirne gemalt deuten ihre Kaste an; die Frauen sieht man kaum. – Weniger schön aber von edlen schlanken Formen sind die Malayen. Ihre Sprache ist die herrschende hier u. die misten hier wohnenden Europäer können sie. 
Pisang heisst bei ihnen die Banane, Kupu-kupu der Schmetterling, wie furchtbar niedlich! Vogel = Burung, Blume = Bunga, Fliege = Lalah, Obst = bua, blau = bisu, schwarz = itam, gehen = purgi, gut = baik, heiss = panas, Haus = Rumah, Eisen = busi, Messer = Pison, Affe = Mungeet, Regan = Hujan, roth = merah, Fluss = Sungeï, Strasse = galan, Meer = Laut, Silber = perak, sauer = masam, süss = manis, Flügel = Sayah, Holz = Kayu, gelb = Kunig. –
Ich entnehme diese Weisheit dem berühmten Buche von Mr. Wallace über den „malay Archipelago“, was Cl. gelesen hat.
Die Zahlen heissen:
1 = Satu, 2 = Dua, 3 = Jiga, 4 = Ampat, 5 = Lima, 6 = Anam, 7 = Inhoh, 8 = Karna, 9 = Sambilan, 10 = Sapuloh, 20 = Duapuloh, 100 = Saratus.
Die Chinesen, obwohl wir sie sehr gern haben, sind doch recht geldgierig u. sie bilden ein, wenn auch angenehmeres Pendant zu unsren „Nagods[1]“. –
Das Gemeng der Sprache muss hier unglaublich sein, u. im ganzen Insel-Complex [Java etc.] werden, nach Wallace – 59 Sprachen gesprochen. –
Am Nachmittag kam der Capitän u. der Ingenieur in unser Zimmer; die Unterhaltung war nicht so weltbewegend, als dass ich mein Aquarell beiseite gelegt hätte. Über unsere Weltreise wusste der gute Mann noch nichts Bestimmtes, was mir unangenehm ist, da ich garnicht weiss, was ich nach Wahnfried telegraphieren soll. – 
Vielelicht Hongkong u. Jokohama! s‘ wär fein! – Die zwei Männer s’ein-allierten (!) u. wir promenierten an der horrenden Englischen Kirche vorbei nach dem Süd-Osten der Stadt, zuerst dem Hafen entlang auf einer schönen breiten Strasse, wo Commis-Corso stattfindet u. einige Betrüger-Hôtels liegen, dann weiter durch die chinesische Vorstadt; in einer Seitengasse links liegt ein buddhistischr Tempel, hässlich, ganz modern; doch erklang aus ihm ein feierlicher Massenton u. wir konnten sehen, wie die Hindus u. Malayen den Boden küssten, Verbeugungen machten, aufstanden u. so in einer geregelten Ordnung fortfuhren, dazwischen ihren Dreiklang ertönen lassend. Wir schauten vorn zu an den Eingang, wo all ihre Schuhe nebeneinanderlagen. – 
Nach dem Diner gingen wir in die Stadt u. verloren uns wieder in die reizenden Gassen. Ein Mordsradau aus der Ferne lockte uns an; es war ein chinesisches Theater, auf der Strasse; die Bühne in einem kleinen Hause, ziemlich erhöht u. furchtbar eng und niedrig. Lampions, bunt durcheinander, erleuchteten die verrückt gesticulierenden Aktoren. Rechts in der Ecke ist das elende Radau-Orchester aufgestellt mit seinem rasenden Lärm u. falschen Harmonien, besthend aus Tam-Tam, Becken, einem als Pauke dienenden Holzgefäss, das wie ein alter Topf klingt, einer Art englisch. Horn und mandolinenartigen 2saitigen Instrumenten. –
Die Handlung besteht aus Gebärden, Körper-Sprüngen, die besonders grotesk von einem Manne ausfallen, dessen Name – als ständige Figur – wie der Pulcinello – mir bisher unbekannt ist. – Er sieht so namenlos blöd aus mit seinem weissen Bart, scheusslicher Maske, ruderartigen Löffeln rechts u. links am Kopf herausstechend, u. seine Tanzgeberden sind noch blöder! – Er macht seine Rondos, geht dann auf die Seite, dann kommen 2 oder 4 Mädchen u. führen einen Tanz aus, mehr aus Handbewegungen bestehen, sie knien nieder u. neigen den Kopf zur Erde – die Musik pausiert einen Augenblick – die eine spricht oder vielmehr schreit 2 unverständliche Worte – die Musik pumpert wieder u. nun erfolgt ein kleiner Umzug mit rothen Fahnen auf der engen Bühne. – Von den Frauen hat eine einen langen weissen Bart als Maske. Nach dem Umzug kommt wieder der Urblöde – u. dasselbe beginnt von neuem – und endet wohl nie, ausser wenn die Armen von Hunger, Schlaf u. Durst ermattet sind. – die Strasse war vollgestopft von Chinesen u. die Luft war etwas zu luftlos als dass wir es hätten länger aushlaten können. Heimgekehrt, lasen und schrieben wir und legten uns bald zu Bett.


[1] Wahnfriedlicher Deckname für Juden – hergeleitet von ihrem Ausruf „Na, Gott!“.

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