Freitag 14ten (14. Mai 1875)

Cosima Wagner Tagebücher

R. freut sich des Hauses und der Kinder – erzählt mir auch am Morgen seinen Traum, er habe mit Bismarck auf förmlich zärtlichem Fuß gestanden, und dessen Gesicht habe sich beim Abschied so verklärt, daß R. zu sich selbst gesagt: »Kein Mensch kennt doch dieses Gesicht.« 

Beim Kaffee lese ich in der Zeitung, daß Hans[1] weit über 10000 Thaler durch Betrug entwendet worden sind, der ganze Lohn einer Arbeit von zwei Jahren! Diese Nachricht stimmt mich beinahe zum Verlieren meines Gleichgewichtes traurig; wenn nur einen Augenblick die Stimmung der völligen Ergebenheit in alles verloren wird, so kommt ein solcher Schlag und führt uns wieder zur traurigen Ruhe! … Wie hart, wie schwer! … 

Abends in »Timaios« [2] wiederum gelesen, zum ersten Male seit langer Zeit ein Buch in die Hand genommen – – Ailinos [3], das Gute siege, führt uns zu der Oresteia, ein Blick, dahinein geworfen, erschrickt förmlich! … Abends Marke und Brange im Mondschein vor der Saaltüre gelagert; sehr schön!


[1] Hans von Bülow war von seinem Agenten George Dolby um sämtliche Einnahmen seiner England und Schottland Tournee betrogen worden (siehe Eintrag vom 28. April).
[2] Dialog Platons, hier von Cosima irrtümlich »Timeos« geschrieben.
[3] griech., das Klagelied.


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