Karfreitag 26ten (26. März 1875)

Cosima Wagner Tagebücher

In der Frühe zum Abendmahl mit Lusch zum ersten Mal! … Sie ist sehr erschüttert, ohne daß ich viel ihr zu sagen habe. – 

Brief von Ritter[1] erhalten, welcher nun als Commis in einem Geschäft arbeitet! Wir fassen schnell den Entschluß, seinen Sohn zu uns zu nehmen und eine kleine Pension (400 Mark jährlich) seiner Frau zukommen zu lassen. Welch ein Jammer, wie kommen so ganze Familien herab! … Ohne Verschulden. – 

R. wünscht mich nach München, wo er Tristan und Isolde anhören muß des Ehepaars Vogl wegen, gern mitzunehmen: »Wenn du nicht dabei bist, so glaube ich, schlafe ich dabei ein.« Er erzählt, wie er meinem Vater mit der größten Ruhe gesagt habe: Ich sei vollkommen!! Er schrieb gestern einen wundervollen Brief an den Vater. Ich habe heute an allerlei gute Leute, welche die rührendsten Zeugnisse von Liebe und Teilnahme für das Unternehmen geben, zu schreiben; Student in Petersburg, Lehrerin in Holland u.s.w. Nahen des Frühjahrs, schöne Stimmung, ich habe seit der Rückkehr das Haus nur für die Begleitung Elisabeth’s und die Kirche (im Wagen) verlassen. Friedliche Freude am Dasein. –

R. besucht mich öfters, während ich schreibe, und sagt mir unter andren Dingen, es würde ihm unmöglich sein, ein Sujet aus der modernen Welt, von der Renaissance an begonnen, dichterisch zu bilden; einzig in der Lustspielform, bei den Meistersingern, sei es ihm möglich gewesen. Abends beginnen wir die Biographie des Bischofs Ulrich, sie ist nicht sehr interessant dargestellt.

Brief von Pr. Overbeck, welcher erzählt, daß Gfrörer zum Katholizismus übergegangen ist, R. sagt, vor 48 hätten erstens die Jesuiten nicht so geherrscht, dann aber sei es erklärlich der furchtbaren Seichtigkeit der protestantischen Geistlichkeit gegenüber, jedoch könne er sich nicht vorstellen, wie ein so klarer Verstand wie Gfrörer einen solchen Prozeß durchmachen könnte. –


[1] Alexander Ritter betrieb jetzt in Würzburg eine Musikalienhandlung.


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