Dennis Russell Davies: The Essential Bruckner

Das Interview vom 26. Oktober 2016 zur CD Produktion "The Essential Bruckner" wurde von Verena Lafferentz geführt.

„The Essential Bruckner” ist eine Vorschau auf die Vervollständigung einer Konzert- und Aufnahmereihe der gesamten Bruckner Sinfonien (einschließlich der „Nullten“) in allen bekannten Versionen. Bereits 2010 veröffentlichte Sony Konzertmitschnitte der zehn Bruckner Sinfonien mit dem Bruckner Orchester Linz aus dem Brucknerhaus.

Daraufhin entschlossen wir uns, dieses Aufführungserlebnis so weit wie möglich auszudehnen und auf die Basilika St. Florian, unsere andere Bruckner Heimat auszuweiten.

Die drei vorliegenden Sinfonien wurden auf Grund ihrer speziellen Verbindung zur Musik Richard Wagners ausgewählt. Die zweite und dritte Sinfonie liegen hier in den selten gespielten ersten Fassungen vor. Der langsame Satz der siebten Sinfonie wurde von Bruckner Liebhabern als eine Art Begräbnismarsch zu Wagners Tod interpretiert. 

Bruckner bewunderte – verehrte ist wohl das geeignetere Wort – Wagner und seine Musik. In gewisser Weise schrieb er die Konzertmusik, die Richard Wagner aus Mangel an Interesse oder auch Zeit niemals schrieb. 

Bruckner hoffte, dass Wagner die Widmung der zweiten oder dritten Sinfonie akzeptieren würde, obwohl Bruckner kaum in Wagners Wahrnehmung auftauchte.

Die ersten Versionen der zweiten und dritten Sinfonien sind unglaublich interessant – meiner Meinung nach sogar die besseren Versionen, obwohl sie gleichzeitig etwas „unpraktisch“ sind. Die dritte Sinfonie dauert gute 90 Minuten, das sind mindestens 20 Minuten mehr als die finale Version und fordert Ausdauer vom Hörer.

Akustik und Atmosphäre in St. Florian bieten die ideale Voraussetzung, um dem Publikum diese langen und anspruchsvollen Werke zu präsentieren. 

Bruckner war ausgesprochen unsicher, sowohl als Mann wie auch als Komponist. Er hatte viele wohlmeinende Freunde, die ihm bereitwillig halfen, seine Werke „zu verbessern“. Sie glaubten an seine Fähigkeiten und haderten mit der Tatsache, dass seine Musik bei Publikum und professionellen Musikern gleichermaßen nicht immer verstanden wurde. Bruckner war bereit, Änderungen vorzunehmen, oftmals entfernte er ganze Passagen, straffte sie, nicht immer – wie ich denke – zum Vorteil des Werkes.

Die vierte Sinfonie ist ein perfektes Beispiel. Die etwas lauwarme Reaktion auf das Werk überzeugte Bruckner, dass das Stück überarbeitet und gekürzt werden müsse. Für mich wurde dadurch die Magie des zweiten Satzes stark beschnitten. Gleichzeitig jedoch entschloss er sich, das Scherzo hinauszuschmeißen und durch ein neues zu ersetzen, welches nun das Original überstrahlt.

Ich konnte mich im Laufe der Zeit, während wir jede Sinfonie probten und aufführten, von Wert und Schönheit jeder einzelnen Sinfonie überzeugen. 

Ich sagte meinen Musikern, wenn Bruckner das Bruckner Orchester bereits bei seinen Premieren gehabt hätte, hätte er wohl nicht den Drang verspürt, seine Werke zu ändern, er wäre bei den ersten Versionen geblieben.

Das ursprüngliche Bruckner-Projekt, das wir 2010 fertigstellten, fand in der wundervollen Konzerthalle in Linz, dem Brucknerhaus, statt. Parallel dazu habe ich seit 2001 das Orchester regelmäßig in der Basilika St. Florian dirigiert. Dort spielte Bruckner die Orgel, verbrachte einen Teil seines Lebens und dort liegt er auch begraben. 

Dieser Ort ist sowohl für das Orchester wie auch für mich persönlich sehr wichtig. Die Jahre, in welchen wir dort gemeinsam gespielt haben, lehrten mich, wie Bruckners Musik zu dirigieren sei, wie sich ihr anzunähern und wie sie zu verstehen sei. Die Pausen, der Raum in der Musik, die Fermaten und natürlich die Tempi – in all diesem, spiegelt sich der Einfluss, den dieser herrliche Bau auf Bruckner als Organist und Komponist hatte. Das Orchester und ich lernten diesen musikalischen Ansatz mit uns zu nehmen, wenn wir in einem „normalen“ Konzerthaus spielen.

Der einzigartige Charakter und Ton, den das Bruckner Orchester in die Darbietung dieser Musik legt, wurzelt in der zentraleuropäischen Tradition und ist besonders auffällig, an einem Ort wie St. Florian. Die Musiker haben die wahre Gabe, aufeinander zu hören und mit der Akustik im Sinne der Musik zu arbeiten.

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