Dienstag, 1. März.

Damiette, Port Said

Wunderbarer Tag; windstill; das sonst dunkelblaue Meer ist hell grün-grau geworden, das Zeichen, dass wir nur 10-15 Meilen von den Mündungen des Nils entfernt sind, der mit seinem Sand alles färbt. – Gegen 11 Uhr sehen wir sehr undeutlich den Leuchtthurm von Damiette, die Küste ist gar nicht zu sehen wegen ihrer Flachheit. Nach dem Luncheon – gegen 4 Uhr erblicken wir in der Ferne die Häuser und Leuchtthürme von Port Said; man könnte so in der Entfernung glauben es sei Burano[1] oder irgend eine venetianische Insel. – Rechts davon häufige Segelschiffe, schlank hin und her wankend; sie sehen aus, als stünden sie über dem Meer; das kommt daher, dass sie sich nämlich hinter einem Küstenstrich auf den Salz-Seen befinden: Port Said rückt näher und verliert immer mehr an Zauber, den ihm die Entfernung gegeben hatte. – 
Auf dem Schiffe regt sich’s; die 30 Mann der Mannschaft sind beschäftigt die Segel einzuziehen, die verschiedenen Fahnen zu hissen (hinter the Union Jack), am Vorder-Mast 4 kleine durch welche in den verschiedenen Zeichen u. Farben die am Land Befindlichen aus dem Flaggenbuch gleich wissen können, wie das Schiff heisst, wer der Capitain, welcher Art das Schiff ist und ? – 

Furchtbar wichtig thut sich dabei das „Einstück“, der älteste Matrose mit seinem Anzug in 1 Stück; er ist sehr grob und souverän; hat immer Stricke in der Hand und hält sich aber doch über diese Arbeiten erhaben; ein anderer, mit echtem ausgedörrtem Seemannsgesichte, stoppligem Barte und kleinen Augen übernimmt es, immer bei der Arbeit, beim Ein- und Ablassen der Boote, beim Ziehen etc. durch seine Rufe zu ermuntern: oä – eiöh – hup – that’s it – now – come along – oä – oft ganz holländer-artig zB.


Und wie prachtvoll geht die Arbeit bei den Engländern. Wenn ich an das Geschwätz, Geschimpf und Gebrüll der Italiener und Spanier denke, wie wohltätig, berührt einen diese Disciplin; einer commandiert, gerade das Nothwendige; alle anderen thun es schweigsam; nur der Rufer lässt seine Stimme zur Arbeit tönen. – 
Wenn ich jetzt an eine Eisenbahnfahrt denke, schaudert’s mir ganz! So lieb gewinnt man das Schiff, dem selbst die Maschinen nicht den Zauber nehmen können; natürlich erzählen sich auch die Matrosen Geistergeschichten auf der „Wakefield“; in einem unteren Raume des Maschinentheils will keiner arbeiten, weil einst ein Arbeiter dort verunglückte; und ein anderer, der, nicht darauf achten wollen, dort arbeite, erzählte, sein Licht sei ihm dreimal ausgegangen, obwohl kein Lüftchen sich geregt habe; und dergleichen mehr.
In der Nähe die Hafens gelangt, hielten wir an, denn ein kleiner aufgeregter Dampfer kam krumm hergesaust, um vom Kapitän Papiere entgegen zu nehmen; dann kamen noch andere kleine Boote mit Beamten, welche wieder andere Zettel haben wollten, Nachweis, dass keine Krankheit an Bord herrscht etc. – 
Endlich kamen wir in den Hafen ganz nahe an den Strand; die Sonne war am wolkenlosen Himmel dunkelgolden untergegangen; es blieb sehr warm, ja schwül und Cl. und ich zogen unsre gelben Sommerpaletots an, gelbe Strohhüte, so dass wir für Brüder gehalten werden mussten. Bevor wir ans Land gingen, kamen die 2 Schmuls[1] Worms und Jossé lispelnd herüber und brachten mir 2 liebe schöne Briefe von Eva und Lulu[2].
Ich las sie gierig während des Abendbrotes, telegraphierte nach Wahnfried und ging dann mit Clement ans Land. 
Es war 7 Uhr; an einigen vorbeiziehenden Pierrots merten wir erst, dass heute der schrecklichste Tag des Jahre ist – Fastnacht. Bezeichnend, dass wir gerade an solch einem widerlichen Feste dieses verkommene Nest sehen sollten. –
Die Stadt ist ganz verrückt; wir gingen die Hafenstrasse entlang, dann rechts in die Hauptstrasse: Ja, was war das für ein Durcheinander von Racen; am schönsten nehmen sich die Araber aus in ihren blauen Hemden, rother Kopfbedeckung und braunem Teint; etwas verkommener die Türken, scheusslich die Europäer, hauptsächlich bestehend aus Italienern, Franzosen, Engländern, einigen Deutschen und – da man sie ja als Europäer rechnet – tüchtig viel Juden, (besonders Cigaretten-Verkäufer): da leuchten einem entgegen – Namen wie: Au Printemps – English Stores – Eldorado – Café de l’Orient – Grand Casino – Salomon – Petit Journal – Le nu au Salon 1891 – Grand bal Paré – und so weiter: dazwischen originelle echt orientalische Läden, offene Restaurants, am Boden kauernde Kafé trinkende Türken, überall über die Strasse hängende Fahnen, die albernsten langweiligsten Masken mit den üblich blöden Einfällen, – dabei grosse Schwüle; 
wir setzen uns ins Freie bei einem Café und trinken türkischen Kafé; das Café hiess: ΚΑΦΗΝΕΙΟΝΓΗΣ ΑΝΑΤΟΛΗΣ, also auch noch Griechen hier; was der Kellner bestätigt, der mir έπτα sous zurückgiebt. 
Wir biegen in eine Seitenstrasse: da steht ein enormes Hôtel nach amerikanischem Muster, sehr originell, aber eigentlich scheusslich, nur für Kühle sorgend. Mit dem Kapitän zusammentreffend beschlossen wir in ein Café-Chantant zu gehen, waren aber furchtbar enttäuscht, einen ganz langweiligen, miserabel von europäischen Commis getanzten Ball anzutreffen. Da wir ausserdem rechts und links von den Kellnern betrogen wurden, gingen wir wüthend heraus und tranken nochmals Café. Es war elf Uhr. 
Wir kauften uns Cigarretten, sehr gut (3 Sh. 100 St.) und jeder 2 Romane, und zwar französische, – dies war der schlimmste Einfluss von Port-Said, denn auf dem Umschlag meiner Romane stand Flaubert-Madame Bovary und Zola-l’Oeuvre. Eigentlich ist’s eine Schande, aber man will sich auch einmal ein bischen fin de siècle thun. – Wir kehren auf das Schiff zurück, glücklich wieder vom Lande weg zu sein. So ein Schiff ist wirklich wie ein Magnet; man macht sich gar-nichts besonderes aus dem Lande. – – 
Als wir an Bord kamen, waren sie gerade mit dem Einladen von Kohlen fertig; merkwürdig war der Anblick der 5 kleinen Dampfer, die die Kohlen brachten, mit ihren grossen Kien-Fackeln – den vielen Arabern, welche, mit den vollen Säcken auf dem Rücken, ameisengleich hinauf u. hinunter eilten, dazu dahinter ein mächtiger elektrischer Reflector eines eben aus dem Canal kommenden Dampfers, das ganze, ein unheimlich modern realistischer Anblick.
Um 12 Uhr sollten wir abfahren, doch wurde es drei Uhr; zuvor möchte ich aber noch über den Canal und seinen Betrieb etwas schreiben; die Durchfahrt durch den Canal dauert im besten Falle 18 Stunden, meistens wird es viel mehr; das letzte Mal brauchte die „Wakefield“ 40 Stunden; die Ursache davon ist, dass die Schiffe sehr oft auf Sandbänke stossen, die sich beständig bilden, obwohl trainiert wird und Gott weiss was noch alles; ausserdem müssen Schiffe, das der Canal nicht so breit und tief ist, dass 2 sich im Laufe begegnen könnten, ohne Gefahr zu laufen, auf Sand zu rennen, auf den verschiedenen Stationen halten, um daselbst das entgegengesetzt fahrende vorbeizulassen. – Die Kosten der Unterhaltung sollen sehr gross sein, die Einnahmen aber colossal. Im vorigen Monat 6 Millionen Francs.
Die „Wakefield“ hat für das Passieren 700 Pfund = 14000 Mark zu zahlen! so dass die Kohlenladungen, welche sie trägt, unmöglich das wieder einbringen. Im einzelnen Falle wäre es also natürlich ein Verlust, im Ganzen aber kommt doch ein grosser Gewinn für den Schiffsherrn heraus. Da wir nachts losfuhren, hatte man an den Kiel einen elektrischen Reflector angebracht, dessen Dynamo mit der Dampfmaschine des Schiffs verbunden wurde. Die Thätigkeit am Schiffe war gross und sehr interessant. –

[1] Ene venezianische Insel.
[1] Aus Samuel – bedeutet hier Juden.
[2] Kosenamen für Siegfrieds Halbschwester Daniela von Bülow, spätere Frau des Kunsthistorikers Henry Thode.

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