Mittwoch 27ten (27. Januar 1875)

Cosima Wagner Tagebücher

Richter’s Hochzeitstag! – 

Des Morgens sagt mir R.: »Ich bin immer tiefer überzeugt von der Wahrheit des Voltaire’schen Wortes, daß für das Volk die Religion nicht absurd genug sein kann, und daß man das Christentum von seiner jüdischen Grundlage nicht trennen kann. Der Vater im Himmel gehört dazu, und naiv kindlich einfach muß eine Religion bleiben, der liebe Gott, der alles gut gemacht hat, wenn wir es auch nicht verstehen, ist der einzige Trost, die einzige Anleitung zur Resignation für den gemeinen Mann. Freilich, wenn der Glaube erschüttert ist, kann man ihn nicht wieder einimpfen.« 

R. studiert mit Herrn Glatz, darauf machen wir einen Besuch zusammen. Nach Tisch die drei ältesten Kinder auf dem Eise, R. mit Evchen zu Rollwenzel, ich mit Fidi zum Theater, alles unvorbereitet! Großer Eindruck des Theaters auf mich. – 

Die Rollwenzelei in der Königsallee 84 

ist heute kein Gasthaus mehr, beherbergt jedoch die „Jean Paul Stube“ (der Dichter war so oft dort, dass er eine eigene Stube erhielt), die besichtigt werden kann. 

➝ Jean Paul Stube, Rollwenzelei

Abends eine Symphonie von Haydn, dann bitte ich um etwas aus Tristan, und wir nehmen von der Vision des Tristan an bis zum Schluß. Unsäglicher Eindruck, zumeist heute von Isolden’s Schmerzensausrufen sogleich nach Tristan’s Tod, welche von R. unaussprechlich ergreifend gesungen werden.

Dieser Inhalt kann nicht kopiert werden. / This content cannot be copied.