Mittwoch 4ten (4. März 1874)

Cosima Wagner Tagebücher

„Hilf mir zu einem guten Tag“, sagt R. in der Frühe. Dann ruft er das Bild seiner Mutter an, vor welchem ich liege, und: „Was sagst du nun“, ruft er es an, „daß ich diese Frau mir gewonnen?“ –

Er erzählt dann von einem Stück in der Art „Kapitulation“, das er gern schriebe, worin alle Literaten mit Namen (Lucius Freytag, Fabius Rodenberg etc.) mit ihrer Sprach vorkämen; dazu ein Bauer. „Ich möchte wohl, es käme solch ein Theatergenie, der alles dies derb zeichnete und ganz frei mit Personen umging, sie nicht als Realitäten behandelnd; allein das Publikum würde ihn nicht verstehen, denn wir haben keine Öffentlichkeit, und diese Menschen sind eigentlich Schemen, sie existieren nicht für das Volk. In Deutschland muß man die große Glocke schwingen, wie ich es tue, auf den Deutschen wirkt nur das Erhabene, und ist bei uns die Musik das einzige Arcanum.“ – –

R. arbeitet; immer keine Notizen von München. Da das Wetter schön ist, bin ich den ganzen Nachmittag mit den Kindern im neuen Hause. Abends die Kopie mit Herrn Runckwitz dazu; Meistersinger-Vorspiel vorgenommen, dann die C moll Symphonie und „Joseph in Ägypten“, letzterer der Gegenstand der großen Bewunderung von R., er sagt, wie ihn die Arie von Simeon als junger Mensch ergriffen hat: „Von ihm (Méhul) hat man gelernt, das austönen lassen, den [unleserlich], wie er es zweimal hat, nach dem Fluch des Vaters und der Arie des Simeon, wie beendigt man so etwas? Das Eintreten von Joseph, das ist Kunst. Es waren doch besseren Menschen als jetzt, die an derlei sich unterhielten, und es war keine geringe Kunstzeit, wo drei Werke wie „Die Vestalin, „Les deux Journées“ und „Joseph“ als Preiswerke gestellt wurden. Jetzt herrscht Flotow und Offenbach.“ – 

Von Dirigenten und Orchester sprechend, sagt er: „Es muß etwas Schreckliches für ein intelligentes Orchestermitglied sein, das alles fühlt und weiß, von solch einem dummen Dirigenten, wie die Herrn jetzt alle sind, sich den Takt geben zu lassen. Und wie schön jetzt dafür gesorgt worden ist, daß überall Menschen ohne Feuer angestellt werden und daß, wenn ein junger Fremder wie unser Macedonier nach Deutschland kultursüchtig kommt, wie er überall boshafte Mittelmäßigkeit antrifft.“

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