Tagebuch von Cosima Wagner

Mittwoch 7ten (7. Januar 1874)

R. sieht angegriffen aus, hatte aber eine bessere Nacht; er sagt, wie [er] zum Frühstück kommt: Jetzt muß man viel auf einmal sein, vorsichtig, klug, wahrhaftig und vornehm. Er sagt, die Erfahrung mit Erlanger(1) habe vollends dem Faß den Boden ausgerissen. Er sprach gestern, wie ihm der Mut gesunken sei, als er die Cadres der Armee durchgesehen habe und die französische Terminologie gefunden; wir sind Barbaren, und zwar ganz im lutherischen Sinn zugleich „unkultiviert“ und „undeutsch“.

Beim Frühstück sagt er: „Du hörst doch noch den Ring des Nibelungen“, und kommt auf den Gedanken, bloß keinen Termin zu stellen und zu sagen; ist das [Geld], 200 000, da, dann ist [es] gut, glaubt aber nicht, dass es einlaufen wird. Brief von Rat Düfflipp, welcher die telegraphische Notiz bestätigt(2).

Abends sage ich, ich weiß selber nicht, von welchem Geist getrieben, zu R.: „Wie schön ist es doch, von allen verlassen zu sein!“ R. erfaßt diesen Ausruf lebhaft und sagt: „O, es ist der einzig würdige Zustand.“ Gestern und heute faßte ich mein ganzes Wesen in einem Gebet: Mit Richard zugleich zu sterben! Nur solange hienieden zu wandeln, als mein Blick seinem Blicke begegnen kann, wenn meine Hand die seinige halten, mein armseliger Geist seinen Geist schauen und erfassen kann. R., dem ich das schlicht sage, antwortet: „Wir werden aber noch recht lange miteinander leben.“ –

Brief von Bucher(3), daß der Fürst doch die Broschüre gelesen und sie zum Gutachten an Minister Delbrück gegeben. Es scheint nicht ganz unmöglich, daß er die Garantie übernehme, worum ich gebeten, meinen heftigen Widerwillen gegen irgend welches Angehen der Freunde bekämpfend(4). Abends Freund Luther!


(1) Frédéric Emile Baron d’Erlanger
(2) siehe Eintragung vom 06. Januar 1874
(3) rechte Hand Bismarcks
(4) sinngemäß: „ankämpfend gegen den Widerwillen, meine Freunde um Hilfe zu bitten“.

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