Montag, 11. April

Von Saigon nach Canton

Heute ist die Hitze noch grösser wie gestern und wir sind froh, dass wir von hier fortkommen. In der Früh um 6 Uhr standen wir auf, badeten uns und packten. Nach dem Frühstück fuhren wir an’s Land, was nur 10 Minuten dauerte, da inzwischen die „Wakefield“ viel näher an die Stadt gerückt ist. In unsrem Boote lag eine reizende Bambus-Matte. Ich muss solche mitnehmen. – gegen 12 uhr sollten wir auf der „Benalder“ sein; wir nahmen auf der „Wakefield“ Abschied von den Mates u. Ingeneers, die wirklich alle reizende Menschen sind, und fuhren hinüber nach der „Benaler“. Dieselbe ist ein ganz hübsches Schiff, nicht so gross wie die „Wakefield“ und auch nicht so sauber. Der Capitän, 1. u. 2. Mate sehen sich so ähnlich, dass ich sie nur nach ihrem Platze bei Tische unterscheiden kann. Wir sind die einzigen europäischen Passagiere; sonst mehrere Chinesen u. Chinesinnen, die sich auf dem Deck auf Bambusmatten gelagert haben. – Unsre Cabinen sind nebeneinander; leider riecht das ganze Schiff sehr unangenehm nach dem Reis, den sie nach Hongkong transportieren; und wir werden uns an diesen Duft gewöhnen müssen, der etwas an Fisch u. alten Käse erinnert. Der Capitän spricht sehr stark u. schottisch, so dass ich ihn schwer verstehe. –
Wir lunchten gleich, wie wir an bord kamen; es ist nicht besonders gut; doch macht’s nichts. Die Hauptsache ist, dass wir von dem greulichen Saigon fortkommen und Kanton sehen, was ja ausserordentlich interessant sein muss. – Um ½ 2 Uhr fuhr das Schiff ab den Fluss hinunter. – die Schwüle nahm plötzlich ein Ende durch ein schnell vorüberziehendes Gewitter, welches einige tüchtige Blitze in die Wälder sandte, die dadurch hohe Rauchwolken in die Höhe steigen liessen. Gegen 7 Uhr waren wir am ende des Flusses angelangt und nahmen von da an eine östliche Richtung. Nach dem Abendbrot gingen wir auf u. ab bis gegen neun Uhr, wo wir uns legten. Ich konnte lang nicht einschlafen. – 
Ich vergass, von heute morgen etwas zu erwähnen, was mich sehr unterhalten hatte. Es war ein chinesisches Mahl bei A. Lee. – in den nach der Strasse offenen Raum, der hinten mit vergoldeter Holzschnitzerei abgeschlossen ist, wo gewöhnlich der Hausaltar mit Buddhabildnis und brennenden Jossstengeln steht; in diesen Raum, wo rechts u. links an den Wänden die hübschen dunklen geschnitzten Stühle stehen, unterbrochen durch kleine Tischchen im selben Stile, brachte ein Chinese den runden dunklen Klapp-Tisch herein, der auf 8 Beinen steht, wovon 4 zum herein- u. herausziehen sind; stellte 7 leichte Bambus-Stühle um denselben und legte für jeden 2 schwarze chop-Sticks hin, wie die Engländer die als Gabeln dienenden Stengel nennen. als er wiederkehrte, brachte er auf einer Lack-Platte die 7 grau-grünen Schalen, in denen der kalte Reis sich befindet, vertheilte sie u. stellt auf einen Nebentisch einen grossen plumpen hölzernen Trog, gefüllt mit Reis, ebenfalls kalt – denn nur so nehmen ihn die Chinesen. – Jetzt kamen die 7 Chinesen herein, theils von der Strasse, theils von einem kleinen Büreau, wo sie schreiben, theils aus den hinteren Räumen; sie setzen sich u. beim Setzen nehmen sie die Pantoffel ab, so dass sie barfuss dasitzen. Nun kommen aus der Küche, vom Dienenden gebracht, unzählige kleine Schüsselchen mit verschiedenen Gemüsen, Curry, gehacktem Fleisch und kleinen Fischen. Der Anblick ist reizend und so sauber u. so niedlich! Das Essen beginnt. Abwechselnd holen sie aus den verschiedenen Schüsseln ein kleines Stückchen u. führen es direkt zum Munde oder mischen es mit dem Reis, der den Cantus firmus bildet und unerbittlich fortfährt, mögen die niedlichen Gemüse u. Hachés noch so oft ihn zu unterbrechen suchen. Die Art, wie sie die 2 Stengel führen um etwas in den Mund zu kriegen, scheint mir ziemlich schwierig u. die Bewegung, die sie dabei mit dem arm machen, erinnert sehr an unsre deutschn Frauen, wenn sie stricken und hocherregt vor Weihnachten noch 6 Paar Socken für eine Armenbescheerung fertigbringen wollen. die Chinesen halten die 2 Stöckchen zwischen Daumen u. Zeigefinger und dirigieren sie mit dem vierten u. fünften Finger, während der dritte den halt geben muss, dass sie nicht hin- und herrutschen. Natürlich, bei Sachen wir Reis und Brei, müssen sie die Schale bis nah an den Mund führen, sonst würde ja alles herunterfallen. – Getrunken wird nichts während ihrer Mahlzeit und die Frauen sind von derselben ausgeschlossen; die sitzen hinten beieinander und nur hie u. da hört man einen Ruf von ihnen, der nicht allzu melodisch klingt.
Aus Singapore muss ich noch etwas nachholen, was ich ausgelassen habe u. was uns beide mit Staunen erfüllt hatte. Am vorletzten Tage unsres dortigen Aufenthaltes kam am Morgen ins Hôtel ein indischer Jongleur von schönem Aussehen u. schlanker Gestalt. Nachdem er mehrere der bekannten Kunststücke gemacht hatte, kam er zu seiner Hauptsache, die uns beiden vollständig unerklärlich blieb. er trug nämlich auf dem Rücken einen grossen geschlossenen Korb, den er auf den Boden liess u. mit einer grossen Decke umhüllte; nach einigen Gesticulationen, wobei er jeden der Umstehenden scharf aber kurz ins Auge fasste, nahm er die Decke weg, öffnete den Korb, trampelte darin mit den Füssen herum, schloss ihn wieder, stach mit einem langen Messer nach allen Richtungen durch denselben, so dass man die Spitze immer am entgegengesetzten Ende herausstechen sah, klappte den Korb vollständig zusammen, so dass er fast in einer Ebene mit dem Fussboden lang und schliesslich , als er denselben wieder in seine gewöhnliche Gestalt zurückgebracht hatte, öffnete er den Deckel und heraus wand sich langsam eine Frauengestalt; sie stand aufrecht u. trat aus dem Korb, um ihr Kind auf den Arm zu nehmen,  welches vorher manches Kunststückchen geleistet hatte. Da alles so nahe vor unsren Augen geschah, konnte es sich um keine Betrügerei handeln, sondern wir mussten offenbar etwas hypnotisiert worden sein, so dass unser Gesicht depotenziert war u. er uns durch seinen Willen Dinge sehen machte, die in Realität nicht bestanden. die Inder haben es ja darin zu einer Höhe gebracht, von der wir in Europa keine Ahnung haben sollen. – Nach diesem Kunststück ging er weiter mit dieser Frau, dem Kinde u. dem Korbe; bald danach liess sich ein Mann mit 2 Affen zeigen, von denen der eine mir so ein namenlos impertinentes Gesicht schnitt u. mich attakieren wollte, dass ich u. die mich umstehenden Chinesen hell auflachen mussten. Einen anderen Morgen kam ein Malaye mit einem Bären, der aus Malacca stammte. Doch nun zur Seefahrt von Saigon nach Hongkong. Ich schreibe nicht die einzelnen Tage nieder, da dieselben jeder Abwechselung entbehrten, sondern will mich kurz zusammenfassen, um entbehrten, sondern will mich kurz zusammenfassen, um genügenden Raum für eine eingehendere Schilderung der kommenden Tage zu haben. Wir hatten ziemlich gutes Wetter, Mittwoch ausgenommen, wo es wilder und windiger wurde u. wir, infolge der starken Strömung von Norden langsam vorwärts kamen, so dass sich unsre Ankuft in Hongkong fast um einen Tag verschob. An diesem Tage war es uns auch morgens übel, doch überwandern wir es bald; wir lagen den ganzen Tag unbeweglich auf dem Deckchairs, unfähig, ordentlich zu lesen; trotzdem beendete Cl. seinen Peregrine Pickle, den ich jetzt lese, und ich den curé de Village[1], der mir aber nicht besonders gefiel; die ewige katholische Kirche u. die endlosen Schilderungen von Montégnac haben mich etwas ermüdet. Reizend dagegen ist Smollets Pickle, trotz seiner oft unglaublichen Breiten. – Gründonnerstag u. Charfreitag hier zu verleben, that mir eigentlich leid, und wäre die Sonne nicht so herrlich untergegangen, wieder mit jenen fast linearisch begrenzten gelben Strahlen so hätte die nüchterne Umgebung eines eher rohen Kapitäns, eines rotbärtigen unsäglich nichtssagenden Firstmate etc., einen eher unchristlich stimmen können. wir zwei lieben dieses Schiff garnicht; wir finden es parvenü und sehnen uns nach der lieben „Wakefield“ mit den guten Jams, Cacao, Knall-Theetassen und guten Hühnern. Dummerweise haben wir fast kein Buch mitgenommen, da wir angenommen hatten, wir würden in der Hitze doch nichts lesen. – die Temeratur ist schon etwas milder. – Amüsant an Bord sind wieder nur die Chinesen; sie übernachten alle auf dem Deck, wo sei auf ihren Bambus-Matten liegen, eingehüllt in rothe Bettdecken, den Kopf auf kleine Köfferchen gestützt; manche von ihnen spannen ihre leider europäischen Schirme auf; doch die Art, wie sie darüber eine andere Decke legen, die selbst zwar auch aus Europa ist, macht das ganze wieder zu einem ganz phantastischen Bilde, so dass die so scheusslich nüchternen Articel unserer civilisation in ihren Händen gleich einen orientalischen charakter bekommen. Abends beobachteten wir einige der Gruppen, welche Opium rauchten. Unter einem dieser Frau-Steeger-Schirme[2] lagen 2 Chinesen nebeneinander; in der Mitte zwischen ihnen stand am Boden ein Teller, auf dem mehrere Näpfchen sich befanden, in deren einem das Opium, schwarz, fast wie Stiefelwichse; es wird bekanntlich aus dem weissen Mohn gewonnen u. hauptsächlich aus Indien exportiert, obwohl die Inder selber es wenig rauchen sollen u. die Chinesen es auch erst durch die Engländer kennen gelernt haben. Das ist also das Werk unserer grossen Civilisation, unsrer christlichen Missionen, dass überall, wo so stolz eine Puritaner-Church strahlt, auch Alcohol u. Opium den Einzug gefeiert hat. – Es ist fürwahr eine Schmach, wie wir präsentieren. Doch weiter: der eine der kauernden Chinesen übernimmt das Werk, die Pfeifen zu stopfen, Opium aus dem Näpfchen nimmt, es über seiner kleinen Lampe so lange hält, der umdreht und an dem Pfeifenkopf, der übrigens nicht am Ende, sondern in der Mitte der Pfeife angebracht ist, formt, bis er es in die Öffnung, die ziemlich klein ist, hineinstopfen kann, sodann gibt er es seinem Freunde oder behält es für sich, hält es über der Lampe, und nun thut er oder der andere drei bis vier Züge aus der Pfeife, die die Länge u. Dicke einer Fläche hat, wonach das Werk wieder von neuem anfängt; so sitzen sie beisammen, und bis sie ganz umnebelt sind, dauert es manche Stunde. Der Geruch des Opiums hat zuerst etwas unheimlich anziehendes, doch bekommt man seine Süsslichkeit bald satt. die Opiumraucher von Profession magern furchtbar ab, so dass nur die Haut um ihre Knochen schlottert u. sie gehen einem rapiden Ende entgegen. – 
Ungemein geschickt sind diese Chinesen, fast affenartig; die Art, wie sie z. B. abends ihre Lager herrichten auf dem Deck, ist geradezu belehrend u. als wir ihnen zuguckten, lachten sie zu uns herauf u. arbeiteten weiter am Aufhängen ihrer entzückenden Bambusmatten, um sich hinter denen gegen den Wind zu schützen. Dann legen sie sich in ihre künstlich aufgebauten Hütten, u. zwar so nahe aneinander, dass ihre lieben kleinen Flöhchen den umfangeichsten Nachtspaziergang ohne Sprünge von einem zum andern haben können. – Unter anderen Eigenheiten der Chinesen erfuhr ich auch die, dass sie nun dann einen Schnurrbart tragen dürfen, wenn sie Grossväter geworden sind.


[1] Roman von Balzac.
[2] Ein Schirmgeschäft in Bayreuth.

Dieser Inhalt kann nicht kopiert werden.