Sonntag 8ten (8. Februar 1874)

Cosima Wagner Tagebücher

Schneegestöber! Das Wetter wirft uns hin und her. Mehr und mehr habe ich für R. und mich das Gefühl des Verbanntseins in diesem Leben, „weißt du, wo unsre Heimat ist?“

R. hat die Kopie* mit Herrn Runckwitz** eingeladen; nette gute Leute. Der Bauführer erzählt von der Roheit der Werkmeister, welche überall hier in den Wirtshäusern erklärt hätten, sie wollten den Verwaltungsrat verklagen, wenn nicht bezahlt würd. Jetzt handelt es sich einzig um 5000 Gulden, wir beschließen sie, R. und ich, aus meinem kleinen Fonds zu bezahlen, falls der König uns noch einmal verließe. – 

In Venedig bereiten sie Rienzi vor und fragen telegraphisch an, ob Orsini „Baryton absolu“ ist, worauf R. antwortet, daß er weder einen relativen noch absoluten Bariton kenne und daß in Deutschland die Sänger es sich zur Ehre rechneten, in seinen Sachen zu singen. R, erzählt seinen Traum, daß er mit mir einer Aufführung des Fl. Holländers beiwohnte, welche vom 3 Akt nach der eifersüchtigen Erklärung des Holländers plötzlich in die Spinnstube übergegangen sei, worin drei Polizeidiner gewesen wären, und R. in Verzweiflung geschrieen: „Nein, was machen sie mit deinen Sachen.“ – 

Abends Gibbon (Chrysosstomos) und ein Stück, von dem der Sekretär der Universität Straßburg, Dr. Schricker, zugeschickt; wie der Autor versichert, auf empfangene Eindrücke von Lohengrin, Meistersinger etc. – und das Stück „Bertha die Spinnerin“, ist das elendste Flickwerk, das sich denken läßt!

R. las mir einen Satz aus „Staat und Religion“***, wo er über den Politiker und seine Aufgabe spricht, und sagt: Bismarck könnte mir dies entgegenhalten, und allerdings, wenn er etwas für mein Unternehmen tut, so handelte er nicht als Politiker – in dem Lauf der ganzen Weltgeschichte hat ein einziger, Perikles, ein einziges Volk gefunden, welches für eine Idee eintrat. –

Ein trauriges Benehmen Daniella’s (wegwerfendes Wort über die Kopisten) kränkt mich wiederum tief. Mir erscheint das Herz im Bild eines Granitblockes, der zerbröckelt wird, und nun das ursprüngliche Muster gleich einem Mosaik zusammengerückt wird, man erkennt es aber, es sind doch Stücke. Das Skelett bleibt dabei noch fest, und über diese physische Kraft, die unzerstört, während das Herz schon zertrümmert, erhob sich mir die Klage. Inständig sehnte ich mich nach dem Tode – – denn eine Hauptaufgabe werde ich nicht erfüllen können. – Über die Tschandala nachgedacht!


* Die Kopisten (der Noten)
** Karl R. Runckwitz (1850-1941), Bauführer am Festspielhaus
*** „Über Staat und Religion“, 1864 für Ludwig II. geschrieben.

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