Einladungs-Schreiben an die Sänger für Proben und Aufführungen des Bühnenfestspiels »Der Ring des Nibelungen.« 

Richard Wagner an die Sänger

[20. Januar 1875.]

Wie Ihnen dies aus meinem, für mich so erfreulichen, persönlichen Verkehr mit Ihnen bekannt geworden ist, wünsche ich Ihre Mitwirkung zur Ausführung meines Vorhabens, unter gänzlich ausnahmsweisen Verhältnissen eine dreimalige Aufführung meines vierteiligen Festspieles, betitelt »Der Ring des Nibelungen« stattfinden zu lassen. Ich glaube, dass die Verwirklichung meiner Absicht, wie sie eines Teiles an eine außerordentliche Teilnahme vermögender Freunde und Gönner meiner Kunst gebunden war, anderen Teiles nur durch den herzlichen und kräftigen Willen der vorzüglichen Künstler selbst, um deren Mitwirkung ich mich beworben habe, zu ermöglichen sein kann, da die Teilnahme meiner Patrone nur einem Unternehmen gelten durfte und sollte, bei welchem jeder Gedanke an eine Gewinn bringende Spekulation ausgeschlossen war. 

Somit ersehen Sie sich, vielleicht zum ersten Male in Ihrem Künstlerleben, dazu berufen, lediglich und einzig der Erreichung eines idealen Kunstzweckes Ihre Kräfte zu widmen, nämlich: dem deutschen Publikum zu zeigen, was der Deutsche auf dem eigensten Gebiete auch seiner theatralischen Kunst vermag, und hiermit dem Auslande, von dessen Abfällen wir bisher zum großen Teile lebten, unsererseits etwas ihm Unnachahmliches vorzuführen.

Gestatten Sie mir nun, auch Ihnen persönlich die Verpflichtungen zu bezeichnen, welche Sie, in der einzig von mir angenommenen Voraussetzung, übernehmen wurden, sobald Sie, um was ich Sie herzlich bitte, die schließliche Zusage Ihrer Mitwirkung mir erteilen. Sie werden diese Verpflichtungen sich selbst am Genauesten vorschreiben können, wenn ich Ihnen den für die Vorbereitungen und die Aufführungen von mir am zweckdienlichsten erkannten Plan mitteile, welchem angemessen Sie, je nach der von Ihnen übernommenen Partie, Ihre Mitwirkung, namentlich die hierauf zu verwendende Zeit betreffend, sich zugeteilt ersehen werden.

Vom ersten Juli bis ersten August dieses Jahres 1875 sollen in Bayreuth die ersten vorbereitenden Proben stattfinden: von dieser Zeit soll

die erste Woche des Juli auf Proben am
Klavier für »das Rheingold«
die zweite Woche ebenso für »die Walküre«
die dritte für »Siegfried«
die vierte für »Götterdämmerung«

verwendet werden.

Vom ersten bis fünfzehnten August sollen dieselben Proben in gedrängter Aufeinanderfolge, mit Hinzuziehung des vollständigen Orchesters wiederholt werden, und zwar zum Zwecke einer ersten Bekanntmachung der Musiker mit ihrer Aufgabe, sowie der Verdeutlichung des musikalischen Ensembles für die hierbei anwesenden Sänger.

Die dritte Woche des August soll außerdem bereits zur Prüfung und Feststellung schwieriger szenischer Evolutionen, unter Anleitung des Maschinisten und Dekorationsmalers, bei notwendiger Mitwirkung der hierbei beteiligten Darsteller verwendet werden.

Nach diesen, im laufenden Jahre 1875 bewerkstelligten Vorbereitungen, sollen die Monate Juni und Juli des nächsten Jahres 1876 den vollständigen Hauptproben des ganzen Werkes gewidmet werden. Hierunter verstehe ich, daß, mit Vermeidung jeder Überanstrengung und Ermüdung, Tag für Tag mit Orchester und vollständiger Szenerie, die einzelnen Teile in der Weise durchprobiert werden sollen, daß in der Zeit vom ersten Juni bis zum fünfzehnten Juli aufeinanderfolgend »das Rheingold«, »die Walküre«, »Siegfried« und »Götterdämmerung«, vom fünfzehnten bis dreißigsten Juli aber, je nach Bedürfnis, alle vier Stücke zur Probe gelangen.

In der ersten Woche des August 1876 soll dann die erste Aufführung des ganzen Werkes in folgender Weise stattfinden:

Sonntag: Abends um 7 Uhr Beginn der Aufführung von »Rheingold«;

Montag: Nachmittag 4 Uhr »die Walküre«, erster Akt; um 6 Uhr zweiter; um 8 Uhr dritter Akt. (Die großen Zwischenpausen sollen, wie zu neuer Sammelung des Publikums in einer angenehmen Öffentlichkeit der Umgebung des Theaters, so gleichfalls zur Erholung für die ausführenden Künstler, in hierzu vorbereiteten, ihren Ankleideräumen unmittelbar nahegelegenen und verdeckten Gartenräumen verwendet werden.)

Dienstag: in gleicher Weise von Nachmittag 4 Uhr beginnend »Siegfried«.

Mittwoch: ebenso: »Götterdämmerung«.

Ganz in derselben Weise soll dann in der zweiten Woche des August die erste, und in der dritten Woche die zweite Wiederholung der Gesamtaufführung vor sich gehen.

Wenn ich Ihnen hiermit diesen Aufführungsplan vorzeichne, verfahre ich gemäß der genauen Kenntnis der Schwierigkeiten meines Unternehmens, sowie andrerseits der Leistungsfähigkeit unserer künstlerischen Kräfte, sobald im Betreff ihrer Mitwirkung eine unbedingte Willigkeit anzunehmen erlaubt ist. Nur in der Voraussetzung dieser letzteren, wie ich Ihnen dieses zuvor sagte, unternehme ich mein Werk und hoffe auf dessen Gelingen.

Wollen Sie nun durch eine bindende Zusage Ihrerseits mich in den Stand setzen, Sie als zur Mitwirkung bei der Aufführung meines Bühnenfestspieles gewonnen betrachten zu können, und hiermit zugleich mir anzuzeigen, ob, und von welcher Höhe Sie eine Entschädigung hierfür in Anspruch nehmen. Aus der oben Ihnen gegebenen Bezeichnung der von mir zu den Patronen der Unternehmung eingenommenen Stellung erkennen Sie, daß für jeden Mitwirkenden der Gedanke an einen Gewinn ausgeschlossen sein, ja sogar Opferwilligkeit durchgängig vorausgesetzt werden muß. Dennoch bin ich darauf bedacht gewesen, in den Fällen, wo das Opfer unerträglich sein würde, die nötigen Entschädigungen für Ihre Mitwirkung bereit zu halten, und es wird mir namentlich durch die bereits mir kundgegebene großmütige Verzichtung auf jede Entschädigung von Seiten einiger ausgezeichneter Künstler, möglich werden, in diesem Punkte so verfahren zu können, daß keine der von mir in das Auge gefaßten künstlerischen Kräfte aus dem Grunde unüberwindlicher materieller Schwierigkeiten ihre Mitwirkung mir wird versagen müssen.

In diesem Sinne erwarte ich nun Ihre geneigte Erklärung, um zu wissen, daß ich Sie Denjenigen beizuzählen habe, welche durch freiwillige Verpflichtung sich, für den Zweck der Verwirklichung eines noch nie zuvor entworfenen künstlerischen Ideales, zu einem wahrhaft genossenschaftlichen Vereine von wertvollster Bedeutung verbinden.

R.W.

Bayreuth
15. Januar 1875.

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